Mein Kollege, nennen wir ihn Jürgen, will zum Islam konvertieren: Das ist der Anlass dieses Texts, dieser Fakt und meine Fassungslosigkeit darüber.
Ich mag Jürgen gerne. Aufmerksamen Leserinnen dieses Blogs kann er als langjähriger Leiter eines Dolly-Buster-Erotikmarkts in Erinnerung gerufen werden, der 51-jährige Kollege, der mich allmorgendlich mit nach Sachsen-Anhalt nimmt, wo wir – Quereinsteiger alle beide – Integrationskurse für syrische, afghanische, somalische und eritreische Geflüchtete unterrichten. An eine Kursteilnehmerin, eine syrische Physiklehrerin Mitte zwanzig, die mich auf dem Gang stets freundlich anlächelt, hat Jürgen sein Herz verloren. Und weil es nun mal Hanans Religion und Kultur ist: das Kopftuch, das Alkohol- und Schweinefleischverbot, das Gelöbnis vorm Imam und das fünfmalige tägliche Gebet, ist Jürgen gewillt, all das auf sich zu nehmen, um – ein knappes Jahr nach der Trennung von seiner Frau – Hanan zu heiraten und eine neue Familie mit ihr zu gründen. Das ist der schnöde Fakt.
Als Jürgen mir nebenher mitteilte, dass er sich seit Neustem von Leberwurstbroten fernhält, um islamischen Richtlinien zu genügen, war meine Reaktion dramatisch. Nachdem er mir endlich glaubhaft versichert hatte, dass er mich nicht grotesk auf den Arm nimmt, brach ich in Tränen aus:
Du willst dich ernsthaft dieser Religion in den Rachen werfen, über deren Auswüchse wir uns immer lustig gemacht haben?
Du kannst dich jetzt auch über mich lustig machen. Sie darf nun mal keinen Mann haben, der kein Moslem ist.
Und du willst in diese Moschee gehen, von der wir oft gehört haben, dass der Imam fanatisch ist und selbst den Teilnehmern zu verrückt?
Ich muss ja nur einmal hin, um das Bekenntnis zu sprechen.
Und wenn ihr Kinder bekommt und wenn es Mädchen sind, willst du die dann verschleiern?
Klar, nickte Jürgen. Es sei nun mal Hanans Religion.
Ich kann ihm dieses neue Glück nicht gönnen: Alles daran ist falsch in meinen Augen. Ich kann das Persönliche an dieser Entscheidung kaum gelten lassen: Jürgens Unglück über sein Alleinsein, das Getrenntsein von seinen Kindern; seine Sehnsucht, wieder mit einer Frau zusammenzuleben; die naive Aufrichtigkeit, mit der er Hanan und sich selber ein schönes Leben bereiten will, wofür er gerne ein paar Einschränkungen auf sich nimmt. Macht ja Sinn, in seinem Alter langsam das Saufen sein zu lassen; seine Exfrau mochte das auch schon nicht gern. Und all die Köstlichkeiten mit Rind und Lamm, die Hanan ihm vorsetzt …
Ich kann das Persönliche nicht gelten lassen, weil die politischen Faktoren in Jürgens Entscheidung eine so große Rolle spielen. Zum einen: das Patriarchat, Jürgen, das du nicht siehst, wofür ich dir ins Gesicht springen könnte. Dass es so leicht möglich ist, dass ein Fünfzigjähriger seine Frau verlässt, weil die Zärtlichkeit fehlt, dass er sich eine eigene Wohnung nimmt und es völlig selbstverständlich ist, dass die Exfrau sich fortan alleine um die beiden Kinder im Jugendalter kümmert; ja, dass Jürgen noch beleidigt ist, weil seine Kinder nichts mehr von ihm wissen wollen und sich auch für seine neue Liebe nur wenig interessieren. Natürlich zahlt er Unterhalt, und sie kommen zu ihm, wenn sie neue Sneakers wollen oder sturmfreie Bude. Die Vierzehnjährige hat er auch mehrmals im Krankenhaus besucht, weil sie neuerdings komische psychosomatische Symptome hat. Klar kümmert er sich; für die Familie tut Jürgen alles. Aber hat er nicht ein Recht auf Liebe? Verständlich, dass er sich lieber auf die Neue konzentriert und die zukünftigen Kinder.
Zum anderen: der Islam, Jürgen, alter Ossi, ehemaliger NVA-Offizier, Atheist ein Leben lang, der sich vor einer Weile noch mit mir zusammen über den Fastenwahn und den religiösen Moralismus unserer Kursteilnehmer mokiert hat. Und jetzt, nach dem Chaos des letzten Jahres, unterwirft er sich selbst diesem autoritären System, von dem er sich ein geordnetes und erfülltes Leben erhofft, sofern er nur an die Regeln einhält. Bei allem Verzicht auf Leberwurst und Feierabendbier scheint ihm die Unterwerfung leichtzufallen, denn Jürgen – anders als ich weder weiblich noch homosexuell – hat nicht viel zu verlieren. Im Gegenteil, er kriegt eine neue, junge Frau, die zwar eine höhere Schulbildung hat und berufstätig war; aber es hört sich so an, als wurde ihr die Aufopferung für die Familie gründlich eingetrichtert. Hanan wohnt mit ihren drei Geschwistern zusammen, mit denen sie geflüchtet ist, und werde, wie Jürgen erzählt, von ihrem großen Bruder tyrannisiert, der im Haushalt keinen Handschlag tue, Hanan und ihrer Schwester aber genau vorschreibe, was sie anzuziehen und wann sie das Haus zu verlassen haben. Der Bruder fühle sich hier in Deutschland als Stellvertreter des Vaters. Ich vermute, er will die Schwestern sowohl vor moralischer Verwahrlosung wie auch vor der sehr realen rassistischen Belästigung durch die Sachsen-Anhaltiner schützen, und führt sich dabei wie der größte Pascha auf. Die beiden Frauen hätten wohl schon überlegt, ins Frauenhaus zu gehen; bis Jürgen kam und Hanan seine Liebe gestand.
Ach, die Verhältnisse sind verwickelt und überschattet von meiner Enttäuschung. Ich mag Jürgen doch gerne, jeden Morgen setzt er mir Kaffee vor und ich weiß, dass er ein weiches Herz hat und auf der Arbeit von denselben Dingen genervt ist wie ich. Jürgen ist ein angenehmer Teil meines Alltags; obwohl er seit seiner Trennung allzu sehr dazu übergegangen ist, mich als verständnisvolles Ohr zu adressieren und dabei sehr viel zu reden. Sein Anspruch nicht nur auf Liebe, sondern auch auf das Ohr einer Frau erstaunt und ermüdet mich.
Freilich vermute ich, dass der liebe Jürgen sich an den verwickelten Verhältnissen noch die Zähne ausbeißen wird. Schon jetzt ärgert ihn, dass er im Laufe der Verlobungszeit Hanans Haar noch nicht zu sehen bekommen hat. Lediglich ein Foto mit Kussmund, Mähne und moderatem Ausschnitt hat sie ihm geschickt. Stolz zeigte Jürgen das Foto mir und einer anderen Kollegin – bei geschlossener Lehrerzimmertür, denn Hanan habe ihm geschrieben, das sei eigentlich verboten.
Die Whatsapp-Konversation war mit „Schatz“ übertitelt. Wie gut, dass Jürgen Hanan, als ihr Deutschlehrer, die Bedeutung der Worte und der Verhältnisse in Deutschland stets erklären kann.
Was ist, wenn deine kleine muslimische Tochter keinen Bock aufs Kopftuch hat, Jürgen, wenn sie auf Gott pfeift und sich für Punk interessiert oder für Frauen? Ich wünsche dir die Auseinandersetzung damit, ich wünsch sie dir von ganzem Herzen. Und Hanan wünsch ich sie, und vor allem eurer Tochter.
was bedeutet dein text? dass du dich paternalistisch über deine Schülerinnen und deren Religion lustig machst- furchtbar und respektlos und anscheinend wissenslos, ich finds auch peinlich, dass du Wochenende machst und bestimmt gern frei an Sonntagen hast- (sorry das ist jetzt vorrausgesetzt, ich denke es könnte so sein) ist das dein Verständnis von Respekt? Desweiteren stellst du dich mit dem darüber lachen ist so eine Hierarchisierung von richtig und falsch, das ist abgefahren! Was du beschreibst, machen viele Männer in den 50igern, unabhängig von Religion, darüber kann mensch sich ärgern- klar , und das es ein strukturelles Problem ist- ok, aber hier die abermalige Verknüpfung mit dem Islam in einem Text ist peinlich und unsinnig. was möchtest du sagen? findest du den Islam per se scheiße? Wenn du vielleicht Infos brauchst oder ein ähnliches Bild hast wie die AFD (is leider so) dann erkundige dich doch mal hier und da, geh mal in eine Moschee, und Angst oder Mitleid vor und mit Frauen mit Kopftuch ist auch nicht nötig. Nachfragen hilft manchmal! Möchtest du Beziehungen in deinem Leben haben, die sich über dich lustig machen? und geh auf keine Hochzeit, über du dich lustig machst- Und unterrichte keine Leute über die du dich Lustig machst!!!
Hallo Nuschka,
ja, was bedeutet mein Text? Eigentlich habe ich keine große Lust, vom kleinen literarischen Porträt ins explizit Politische zu wechseln. Aber da mir das Thema auch politisch sehr am Herzen liegt: Ich habe versucht darzustellen, dass das Lustig-Machen in einem Kontext der pädagogischen und didaktischen Auseinandersetzung mit meinen SchülerInnen geschieht, die ich als Menschen und als Lernende schätze und respektiere. Wie jede Eigenart, mit der man täglich klarkommen muss, kann die alltägliche Konfrontation mit einer engstirnig verfolgten Religiosität dazu führen, dass man sich unter KollegInnen darüber lustig macht. Damit hängt zusammen, dass ich am Islam, wie er derzeit mehrheitlich vertreten wird, in seinem Traditionalismus und seiner Frauen- und Homofeindlichkeit, allerhand zu kritisieren finde. Das sehe ich als ebenso strukturelles Problem wie das Patriarchat. Mit beidem setze ich mich seit Jahren auseinander, nicht nur in meiner Berufspraxis – und, verzeih die Annahme, wahrscheinlich intensiver als du. Gespräche mit MuslimInnen und MoscheebesucherInnen bestätigen nämlich tendenziell die Ergebnisse meiner Auseinandersetzung mit muslimischen Lebensrealitäten in Deutschland.
Die Frau, um die es in der Geschichte geht, ist übrigens vor einer Weile von ihrem Bruder mit einem syrischen Mann verheiratet worden, nachdem „Jürgen“ sie fallen gelassen hat. So viel zu dem Ausschnitt westlich- und muslimisch-patriarchaler Realitäten, den ich in diesem Beitrag angerissen habe.