Folgendes Ereignis ist schon eine Weile her; es trug sich vor über zwei Jahren zu, vor meinem Umzug in die große Stadt und vor meinem Einstieg ins raue Leben der Erwerbstätigen. Damals war ich Hartzerin und weniger glücklich, als ich’s aus politischen Gründen gerne gewesen wäre. Ich schlug mich lieber mit dem Arbeitsamt herum als zu arbeiten, ich wollte Zeit und Muße zum Schreiben haben und möglichst viel Freiheit; in der Umsetzung war das Ganze leider mit großer Unruhe verbunden. Zeitweise lebte ich wie ein nervöses Häschen in Angst vor den wohlbekannten Jobcenter-Briefen auf grauem Umweltpapier.
Ich war gerade umgezogen und hatte eine neue WG mitgegründet. Im Zusammenhang damit hielt ich es für eine gute Idee, Geld für eine sogenannte Erstausstattung zu beantragen: einen Kühlschrank, eine Waschmaschine und eine neue Matratze hauptsächlich. Wochen und Monate nach diesem Schreiben, als ich längst umgezogen war, bekam ich Antwort vom Amt: Um meinen tatsächlichen Bedarf an Kühlschrank, Waschmaschine und Matratze zu überprüfen, würden mich zwei Bedarfsfeststeller besuchen, am soundsovielten um soundsoviel Uhr. Ich erschrak, nahm mich jedoch schnell wieder zusammen und öffnete zu gegebener Stunde die Tür.
Dann erschrak ich aufs Neue: In meine neue Wohnung traten zwei mittelalte Frauen in bunten Leggings und mit blondierter und toupierter Ponyfrisur, einen lavendelfarbenen Schnellhefter unterm Arm und große Neugier in den Augen – selber proletarisch bis auf die Knochen, zwei ostdeutsche Peggy Bundys sozusagen. Sie traten ein und blickten um sich, maßen den Flur und meinen völlig eingeschüchterten Mitbewohner von oben bis unten und erkundigten sich als Erstes nach der Natur unseres Verhältnisses zueinander. Nachdem ich mit belegter Stimme den Verdacht dementiert hatte, es könne sich um eine verschwiegene Liebesbeziehung, ergo Bedarfsgemeinschaft handeln, ging es weiter in die Küche: Oh, ich hätte ja bereits einen Kühlschrank! Dann, klack, klack, stöckelte eine der beiden ins Bad, tastete nach dem Lichtschalter: Hier passe doch gar keine Waschmaschine rein! Ich erklärte: Natürlich hätte ich mir, zwei Monate nach dem Umzug, mittlerweile einen Kühlschrank zugelegt. Auch eine Waschmaschine hätte ich schon gekauft, sie stehe, bitte sehr, ebenfalls in der Küche. Dennoch hielte ich an meinem Begehr fest, die Kosten für beide Geräte erstattet zu bekommen, ebenso wie die Kosten für die Matratze.
Richtig, die Matratze! Wo geht’s denn zum Schlafzimmer, hier lang? Klack, klack ging es voran, und ich folgte der Bedarfsfeststellerin mit einer stummen Ergebenheit in mein Privatestes, die mich selbst erstaunte.
Ach, das ist aber eine breite Matratze – das ist ja ein Paarbett! Nein, so was fördern wir nicht! Einzelpersonen kriegen nur eine 90 Zentimeter breite Matratze gefördert!
Aber sehr viele Leute haben ein Bett, das 140 Zentimeter breit ist, argumentierte ich. Das ist kein Paarbett, das ist nur für mich.
Für Sie allein?, zweifelte die Bedarfsfeststellerin, setzte sich auf mein Bett und hopste ein wenig. Dann zog sie das Bettlaken zur Seite und ließ den Anblick der nackten, noch ganz neuen Matratze auf sich wirken.
Betäubt dachte ich: Der Staat sitzt auf meinem Bett … in Gestalt Peggys, die wahrscheinlich noch vor kurzem ebenso arbeitslos war wie ich und jetzt, nach einer Schulung im SGB II und auf befristeter Basis, von Tür zu Türe zieht und sich ihrer Macht über die Menschen freut, deren Bettdecken sie im Namen des Gesetzes lupfen darf.
Ihre Kumpanin saß unterdessen am Küchentisch und schrieb im lavendelfarbenen Schnellhefter: Was ich denn gleich noch mal alles beantragen wolle? Wie sich der Nachname meiner Mitbewohnerin buchstabiere? Und das Verhältnis zu meinem Mitbewohner? – Wir wissen nichts, flötete sie, – gar nichts! Aber sie haben doch vorher schon zusammengewohnt, nicht wahr?!
Dass sie einerseits das Amt repräsentierte und dass, andererseits, der Umfang ihres Wissens über mich überhaupt nicht einzuschätzen war, verlieh ihrer fröhlichen Dumpfheit etwas Satanisches.
Als sie kurz darauf gegangen waren, saßen wir noch lange wie geschlagen in der Küche. Mein Mitbewohner begann, über die bedauerliche Staatstreue des Proletariats in diesem Land zu philosophieren, die noch immer jedes revolutionäre Bewusstsein sabotiert habe; ich saß ihm schweigend gegenüber.
Am nächsten Morgen um sieben kam noch einen Anruf von den Bedarfsfeststellerinnen. Ich weiß bis heute nicht, woher sie meine Telefonnummer hatten, die dem Amt nie ausgehändigt worden war.
Guten Morgen, Frau Linkerhand, rief es aufgekratzt, – eine Frage hab ich! Wie buchstabiert sich der Nachname Ihrer Mitbewohnerin?