„Du musst dich Genossin nennen / Du musst Genossin genannt werden“

Ich bin ganz bezaubert von der mexikanischen Sängerin Vivir Quintana. Kennen gelernt habe ich sie über die feministische Hymne Canción sin miedo („Lied ohne Angst“) die am 25. November, dem Tag gegen patriarchale Gewalt, auch in Leipzig von einem Chor gesungen wurde. Darin fordert Quintana Gerechtigkeit für die verschwundenen und getöteten Frauen, in einem Atemzug mit der Solidarität für die Zapatist*innen. Teil des Texts sind Slogans, die es mittlerweile in den deutschsprachigen Aktivismus gegen Femizide geschafft haben: „Wir wollen uns lebend“ und „Nehmen sie uns eine, antworten wir alle.“

Noch beeindruckender finde ich Compañera Presidenta, womit Vivir Quintana die mexikanische Präsidentin Claudia Sheinbaum kurz nach ihrem Amtsantritt 2024 als Genossin anruft – im Kampf gegen die Gewalt an Frauen, gegen Armut, für juristische Aufklärung der Verbrechen des Staats und der Kartelle. Wenn ich es richtig verstanden habe, hat das Lied einen Vorläufer, Compañero Presidente von Ángel Parra, das dem Sozialisten Salvador Allende gewidmet war. Wie dieses ist Quintanas Lied – entgegen meiner ersten Irritation – kein Herrscherlob, sondern ein In-die-Verantwortung-Nehmen. Der Präsidentin werden ein Leben voller Blumen und tragender Wurzeln gewünscht, außerdem ein geruhsamer Nachtschlaf; aber der Schlaf wird an gerechte Taten geknüpft und daran, dass sie die Kämpfe und das Leiden der Frauen nicht vergisst. Sie soll sich den Titel Genossin quasi verdienen: „Hör niemals auf, groß zu sein und dabei Frau zu sein.“

Das Geschlecht der ersten Präsidentin Mexikos wird zum Anlass für Hoffnung und neuen Kampfgeist. Was für ein Kontrast zu Deutschland und Europa, wo 16 Jahre Kanzlerinnenschaft eine Ödnis der scheinbaren kapitalistischen Alternativlosigkeit hinterlassen haben, die der Faschisierung der Verhältnisse hilflos gegenübersteht; wo die Faschos mit weiblichem Führungspersonal wie Alice Weidel und Giulia Meloni aufwarten. Sheinbaum hingegen, wiewohl von vielen Seiten als Technokratin bezeichnet, versteht sich als Feministin, arbeitet an der Aufarbeitung kolonialen Unrechts (gegen den mexikanischen Staat, aber auch in seinem Namen, etwa gegen Indigene), und setzt Trumps Muskelspiel der Strafzölle nicht Gegengemacker zu Lasten von Migrant*innen entgegen. Das ist heutzutage schon eine ganze Menge.

Am meisten liebe ich das Kraftvolle und berückend Melodiöse von Compañera Presidenta, das folkloristisch ist und zugleich so viel feministische Sehnsucht ausdrücken kann. Dieses Pathos ist Linken hierzulande nicht möglich. Es bietet eine Ahnung, einen Vorgeschmack, wie sich politische Kunst anfühlt, die auch Bewegung ist.